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Kapitel 3.1

 

Kapitel 3.1: Die Relativität erkenntnistheoretischer Positionen

 

Welche grundsätzlichen Möglichkeiten haben wir, uns gegen Täuschung zu sichern? In der Auseinandersetzung mit dieser Grundfrage aller Erkenntnistheorie: "Wie ist zuverlässige Erkenntnis möglich?" (HABERMAS 1973, 11) wird uns heute nach Jahrtausende langem Suchen *38 die Relativität und Vorläufigkeit einer jeden erkenntnistheoretischen Position deutlich. "Jeder einseitige Wissenschaftsbegriff mußte bisher zurückgenommen werden; der Fortschritt der Wissenschaft ist eine einzige Geschichte der Zertrümmerung einseitiger Wissenschaftsbegriffe, wie sie jeweils nach dem Vorbild e i n e r Wissenschaft gebildet worden sind." (ROMBACH 1974a, 13) "Man muß es daher jeder Wissenschaft selbst überlassen, was sie als legitime Methode ansieht und welche Aussagen sie daher als 'wissenschaftliche' Aussagen anzunehmen geneigt ist." (SEIFFERT 1974, 79)

Wir bewegen uns in der Erkenntnistheorie offenbar nicht auf einem "gesicherten Boden", sondern in der Sphäre des Meinens. Wie anders ist es möglich, daß in der Philosophiegeschichte gerade die Größten häufig das Gegenteil dessen vertreten, was ihre ebenso "großen" Kollegen vertreten? Es handelt sich offensichtlich um Standpunkte, zumindest was die elementaren Grundentscheidungen angeht, die am Anfang jeder Philosophie stehen.

Überwiegt bei den früheren Philosophen bezüglich dieser Standpunkte noch die Auffassung, daß es sich dabei um evidente Sachverhalte, um Axiome im Sinne "erster, unvermittelter Einsichten" handle, so z. B. bei ARISTOTELES (HIRSCHBERGER 1965, 177), aber auch noch bei DESCARTES *39, so sehen spätere Philosophen darin oft nur noch Setzungen,zu denen man sich entscheiden muß - so z. B. FICHTE (1762-1814) *40. HÜBNER (1978, 200ff, 269ff) hebt allerdings hervor, daß diese Setzungen nicht völlig willkürliche sind, wenn sie auch nicht notwendig sind: Sie sind in einer gegebenen historischen Situation mehr oder weniger angemessen, und ihre Angemessenheit läßt sich begründen. Die Berechtigung der zuletzt genannten Auffassung wird am Beispiel der Geometrie besonders deutlich: Die Entwicklung der nicht-euklidischen Geometrie zeigt, daß auch sehr plausible und "unmittelbar einsichtige" Annahmen - die Axiome der euklidischen Geometrie -, die zwei Jahrtausende unangetastet gegolten haben, nur für bestimmte Bereiche der Wirklichkeit angemessen, fruchtbar sind. Ebensolches gilt für die scheinbar selbstverständlichen Regeln der Aristotelischen Logik, die zur Beschreibung von Vorgängen im Bereich der Elementarteilchen offensichtlich nicht ausreichend sind und modifiziert wurden ("Quantenlogik") *41.

Trotz aller Relativität der Standpunkte im eben angesprochenen Sinne hat die Wahl eines solchen Standpunktes einschneidende Folgen. Die daraus folgenden Setzungen prägen ggf. Jahrhunderte hindurch das, was Menschen zulassen und weiterverfolgen oder verwerfen, was sie wachsen lassen oder bekämpfen. *42 Heutzutage gilt das Etikett "wissenschaftlich" vielen als "Gütesiegel" einer Erkenntnis. Wissenschaftlich gilt als Synonym für objektiv, gesichert oder zumindest geprüft, manchmal einfach als Synonym für vernünftig (siehe Anm. 56), im Gegensatz zu subjektiv, geglaubt oder irrational. Doch dieser Standpunkt ist überholt. "Es gibt weder absolute wissenschaftliche Tatsachen, noch absolut gültige Grundsätze, worauf sich wissenschaftliche Aussagen oder Theorien im strengen Sinne stützen oder mit deren Hilfe sie zwingend gerechtfertigt werden können." (HÜBNER 1978, 190). Wir vergessen gern, wie eng bei den Pionieren unserer heutigen Weltsicht (Descartes, Galilei, Newton, Leibniz) rationale Argumentation mit "irrationalen" Glaubenssätzen, religiösen Überzeugungen verknüpft war, oft von daher sogar die Rechtfertigung für bestimmte wissenschaftliche Axiome genommen wurden (HÜBNER, 1985, 28ff).

Das Argument, daß es keine Wahrheitsgarantie gibt *43, daß gerade auch die Selbstverständlichkeiten unserer Weltsicht, z. B. die Regeln der Logik (!), keine allumfassende Gültigkeit beanspruchen können, wird von den "Praktikern", den "Forschern vor Ort" in seiner Tragweite und Schärfe meist nicht erkannt. *44 Nach v. WEIZSÄCKERs Auffassung ist anders Wissenschaft auch gar nicht möglich: Sie wird nur möglich, weil man sich bestimmte Fragen nicht stellt. *45 Gerade diese Selbstverständlichkeiten gehen aber als "Maßstab", als "das, worauf man sich ohne weitere Prüfung verlassen darf", in unsere Prüfungsmethoden ein, auf sie wird rekurriert (bei jeder Argumentation), an ihnen wird alles gemessen.

Zu diesen Selbstverständlichkeiten gehören z. B. auch unhinterfragte Vorstellungen darüber, worauf es ankommt beim Forschen, woran Forschung sich zu bewähren hat. Aus den Naturwissenschaften wurde z. B. das Kriterium des Vorhersage-Erfolgs übernommen: Wissenschaft muß in der Lage sein, bei gegebenen Randbedingungen zukünftiges Geschehen zu prognostizieren. In der erfolgreichen Prognose erweist sich die Richtigkeit, die "Wahrheit" (*46) ihrer Annahmen, Theorien und Gesetze. HABERMAS sieht darin ein implizites, d.h. nicht auf die subjektiv empfundene Motivation des Forschers bezogenes, sondern durch die Vorgehensweise bedingtes, "technisches Erkenntnisinteresse" der Naturwissenschaften (HABERMAS 1968, 146ff), ein Interesse an "Verfügung über Natur". Dies gilt auch für die psychologische Forschung in weiten Teilen. "Der Psychologe soll menschliches Handeln besser kontrollierbar machen, sei es nun in der Eignungsdiagnostik, sei es in der Werbepsychologie, der Erziehungsberatung, der forensischen Psychologie usw." (HOLZKAMP 1972, 19).

Die Orientierung an diesem Erkenntnisinteresse führte in den Sozialwissenschaften zum "Operationalismus": "Im allgemeinen versteht man heute darunter die Forderung, Begriffe so zu formulieren, daß jederzeit darüber entschieden werden kann, ob der Begriff zutrifft oder nicht." (KLÜVER 1974, 104). Es geht also um Gewährleistung von "Meßbarkeit" der verwendeten Begriffe, um Quantifizierung. Die Frage ist, ob alle für die Sozialwissenchaften relevanten Dimensionen in einem nicht-trivialen Sinn operationalisierbar und damit quantifizierbar sind *47. Dies bestreiten nicht nur Wissenschaftstheoretiker, z. B. SEIFFERT (1973, 28) oder von WEIZSÄCKER (s. Anm. 66), auch methodenbewußte Sozialwissenschaftler halten diese Behauptung für extrem und unvernünftig (KERLINGER 1973, 32).

Für die astrologische Forschung ist dies von entscheidender Bedeutung. Es geht dabei um die Frage, ob die Dimensionen der im Horoskop sich zeigenden Strukturen quantifizierbar und damit einer statistischen Analyse zugänglich sind oder nicht. Dies wird ausführlich in den Kapiteln 4 und 5 diskutiert werden.

 

 

 

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